Interview mit Christina Lücht Dr. Jannis Kranz von thyssenkrupp Marine Systems

Im Gespräch mit thyssenkrupp Marine Systems: „Wir sehen einen stetig zunehmenden Bedarf“

Der 3D-Druck dringt auch im Marineschiffbau immer weiter vor. Christina Lücht und Dr. Jannis Kranz von der thyssenkrupp Marine Systems GmbH (tk MS) in Kiel berichten von grundsätzlichen Vorteilen und konkreten Fortschritten bei Unter- und Überwasserschiffen.

tk MS investiert seit einigen Jahren in den Aufbau von AF-Kapazitäten für die Herstellung von Bauteilen für U-Boote. Wo stehen Sie heute? Verbauen Sie bereits Bauteile aus dem 3D-Druck in U-Booten?

Lücht: In den letzten Monaten haben wir den Aufbau einer Serienfertigung im Bereich Metalldruck, u.a. durch Investition in neue Anlagensysteme und Peripheriegeräte, intensiviert und die Fertigungskette in den bestehenden Werftprozess implementiert. Durch diese Kapazitätserweiterung ist es uns möglich, den aus dem Serienhochlauf resultierenden steigenden Bedarfen gerecht zu werden.

Kranz: Darüber hinaus sehen wir seit dem Aufbau der 3D-Druck-Fähigkeiten bei der tk MS in Kiel einen stetig zunehmenden Bedarf an mittels 3D-Druck hergestellten Bauteilen. In der Vergangenheit konnten wir bereits mehrfach erfolgreich aufzeigen, dass metallische 3D-Druck-Bauteile höchsten Belastungen standhalten und sich als Funktionsbauteile eignen. So wurden bereits 3D-gedruckte Bauteile erfolgreich geschockt und an Bord von U-Booten getestet. Intern wie extern arbeiten wir derzeit und zukünftig weiter daran, um den Anteil der gedruckten Bauteile an Bord weiter zu steigern. Doch nicht nur die interne Serienfertigung von Neuentwicklungen liegt bei uns im Fokus, sondern auch die direkte Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Hier verzeichnen wir ein zunehmendes Interesse an 3D-gedruckten Ersatzteilen.

Lücht: Ein weiterer Fokus neben den metallischen Werkstoffen liegt im Bereich Kunststoff. Hier ist der 3D-Druck bereits ein etabliertes Fertigungsverfahren bei der tk MS. Beispielsweise wird der 3D-Druck zur Unterstützung der Produktionsabläufe genutzt (u.a. durch die Produktion 3D-gedruckter-Fertigungshilfen und Dummy-Bauteilen aus Kunststoff).

Welche spezifischen Vorteile bietet die Additive Fertigung für den Bau von U-Booten und möglicherweise auch anderen Marine-Schiffen?

Kranz: Die allgemein bekannten Vorteile der additiven Fertigung sind weitestgehend auch auf den maritimen Bereich übertragbar. Die schichtweise Fertigung ermöglicht es uns, eine gegenüber konventionellen Produktionsprozessen erheblich gesteigerte Geometriefreiheit zu nutzen. Dadurch können wir u.a. Bauteile leichter, aber auch kompakter gestalten und so beispielsweise Gewicht und Bauraum einsparen. In dem Zuge ist es uns auch oftmals möglich bisherige Baugruppen im Sinne einer Funktionsintegration zu vereinen und so etwa Montageaufwände und Gewicht zu reduzieren. Oftmals ermöglichen die Gestaltungsfreiheiten des 3D-Drucks gegenüber konventionellen Bauteilen überlegene Produktfunktionalitäten. Die nahezu werkzeuglose Natur des 3D-Drucks macht es uns erheblich einfacher, Bauteile individuell anzupassen und so für viele Einsatzfälle optimale Lösungen zu schaffen.

Lücht: Im Bereich des Überwasserschiffbaus ist es zunehmend von Interesse, 3D-Drucker direkt an Bord zu implementieren, um etwa Behelfsersatzteile an Bord drucken und die Einsatzdauer verlängern zu können. Verschiedene Nutzer haben hier bereits entsprechende Erfahrungen gemacht und diese veröffentlicht.

Bestehen Kooperationen mit Forschungseinrichtungen oder anderen Unternehmen, um die additive Fertigung im Schiffbau weiterzuentwickeln?

Lücht: Im Feld der maritimen und militärischen Anwendungen sind wir national sowie international im Bereich der Additiven Fertigung proaktiv tätig. Eine stete Kooperation von Industrie und Forschung ist natürlich in unserem Interesse, um u.a. Trends mitzugestalten, Vorteile der Technologien für die tk MS nutzbar zu machen und die notwendige Transformation seitens der tk MS frühzeitig zu identifizieren. Wir arbeiten dabei mit diversen Hochschulen und Universitäten zusammen, um beispielsweise unser Wissen zu Herausforderungen in der Prozesskette der additiven Fertigung zu teilen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.

Kranz: In dem Kontext stehen wir gemeinsamen Verbundvorhaben im Rahmen öffentlich geförderter Projekte offen gegenüber und sind gerne zu einem entsprechenden Austausch bereit. Neben der Gründungsmitgliedschaft des MN3D sind wir in weiteren Netzwerken involviert und pflegen in der Industrie sowie in der Forschung einen steten Austausch.

Welche technischen Herausforderungen galt es für Sie auf diesem Weg zu meistern? Und vor welchen stehen Sie möglicherweise noch?

Kranz: Eine nach wie vor große Herausforderung ist natürlich noch immer die anwendungsspezifische Wahl des geeigneten AF-Verfahrens. Hier haben wir in einem ersten Schritt aufgrund konkreter Eigenentwicklungen früh auf das Pulverbettverfahren gesetzt. Bauteilbezogen ist es aus unserer Sicht unerlässlich, anhand einzelner Leuchtturmprojekte grundsätzliche Prozessketten zu erarbeiten und zu beproben. So konnten wir beispielsweise Kompetenzen rund um die 3D-CAD-Modellierung von gedruckten Bauteilen weiter ausbauen, Kompetenzen wie die Simulation von Druckprozessen aufbauen, aber auch Fähigkeiten bei der konventionellen Nacharbeit von gedruckten Bauteilen zielgerichtet erweitern. Aufgrund der noch immer sehr dynamischen Entwicklung im Bereich der 3D-Druck-Technologien und der dazugehörigen Prozesslandschaft führen wir stetig Technologiescreenings durch und versuchen technologieunabhängig weitere Potentiale für unser Unternehmen zu identifizieren.

Eine Hürde für den breiten Einsatz von Teilen aus AF ist deren Zertifizierung. Welche Erfahrungen hat tk MS mit der Klasse gemacht?

Lücht: Dies ist tatsächlich ein essenzieller Aspekt unserer Tätigkeiten im Bereich des Metalldrucks, weshalb wir hierzu bereits früh mit Aktivitäten begonnen haben. Als weltweit erstes Unternehmen konnte die tk MS dadurch eine DNV-Herstellzertifizierung für eine Stahllegierung aus dem 3D-Druck erwirken. Dabei gilt es, die Herstellerzulassung im regelmäßigen Turnus zu erneuern, was zuletzt im Dezember 2023 erfolgreich vollzogen wurde. Auf Basis eben dieser Herstellerzulassung ist es uns möglich, Bauteile im Rahmen von zertifizierten Produktionsabläufen mit 3.1 Zertifikat zu fertigen. Das Zertifikat dient zum einen natürlich als Nachweis der Leistungsfähigkeit der erarbeiteten Prozesskette, und zum anderen wird hier abseits von regulatorischen Notwendigkeiten Vertrauen in die Technologie aufgebaut. Dabei haben wir den Austausch mit der Klasse stets als zielorientiert und unterstützend wahrgenommen. Insbesondere aufgrund der oftmals neuen Herausforderungen ist dies als sehr positiv zu bewerten.

Wo liegen die Grenzen der Additiven Fertigung in Ihrer Industrie, wo bleiben die herkömmlichen Fertigungsverfahren von Bauteilen überlegen?

Lücht: Die additive Fertigung ersetzt nicht die konventionelle Fertigung, sondern ist eher als Ergänzung anzusehen. In der Herstellung von Großstrukturen oder einfachen Bauteilen mit hohen Stückzahlen sind konventionelle Verfahren vor allem kostentechnisch der additiven Fertigung noch überlegen. Auch hier können sich in Zukunft natürlich Grenzen zugunsten verschiedener Technologien weiter verschieben.

Kranz: Insbesondere für Funktionsbauteile ist weiter ein enges Zusammenspiel verschiedener Fertigungsdisziplinen unabdinglich. So sind in der Regel bei gedruckten Bauteilen Bereiche mit hohen Genauigkeitsanforderungen konventionell nachzubearbeiten.

Wie sehen Sie die Zukunft der AF im Marineschiffbau? Ist in den nächsten Jahren noch mit großen Sprüngen und Durchbrüchen zu rechnen? Wo erwartet tk MS die größten Fortschritte?

Kranz: Die größten Potentiale lassen sich im Bereich von Neuentwicklungen mit überlegenen Funktionen sowie dem Ersatzteilmanagement erkennen. Die Zukunft wird zunehmend eine noch engere Zusammenarbeit von Kunden und Partnern in diesem Feld mit sich bringen. Insbesondere im Bereich der digitalen Entwicklungsketten sehen wir noch großes Potential, um zum einen Möglichkeiten noch weiter auszuschöpfen, als auch Prozesse wirtschaftlicher zu gestalten. Ebenso sehen wir steigendes Potential für den Druck von Großstrukturen. Hier zeigt der Markt, dass zunehmend Akteure Technologien entwickeln, die die bisherigen Grenzen verfügbarer Bauräume überschreiten und auch Bestrebungen bestehen, diese für regulierte Märkte nutzbar zu machen. Themen wie Zertifizierungen und Nachweisen von Prozesssicherheiten werden hier zukünftig natürlich von zunehmenden Interesse sein.

 

Christina Lücht studierte ihren Bachelor der Betriebswirtschaftslehre dual mit einem mittelständischen Handelsunternehmen an der Wirtschaftsakademie in Kiel. Als zertifizierte Projektmanagement Fachfrau Level D folgte eine mehrjährige Tätigkeit im Projektmanagement im Bereich E-Commerce. Nach mehrjähriger Berufserfahrung studierte sie ihren Master der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Kiel mit einem Teilschwerpunkt Controlling. Der Einstieg bei der thyssenkrupp Marine Systems GmbH erfolgte als Projektcontrollerin im Engineering Ende 2019. Nach drei Jahren folgte der Wechsel in die Gruppenleitung des TechCenter Additive Manufacturing.

Dr. Jannis Kranz studierte Produktentwicklung und promovierte zu Konstruktionsmethoden und Richtlinien für Additive Manufacturing (AM) an der Technischen Universität Hamburg Harburg (TUHH). Es folgte eine mehrjährige Tätigkeit in der Industrie mit einem Fokus auf AM, dazu gehörigen Beratungsdienstleistungen sowie der Konstruktion für AM. Nach dem Eintritt in die thyssenkrupp AG in 2018 folgte die Leitung des Engineering Teams am TechCenter Additive Manufacturing der thyssenkrupp AG. Mit dem Wechsel zu thyssenkrupp Marine Systems GmbH folgte zunächst die Tätigkeit als „Expert for Additive Manufacturing and Design“ und anschließend die Rolle des „Technical Lead Additive Manufacturing“.

Credit: thyssenkrupp Marine Systems GmbH).

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