Shahram Sheikhi und Jens Telgkamp sind Pioniere auf dem Gebiet des 3D-Drucks. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) Hamburg im Department Maschinenbau und Produktion („Hightech im Herzen von Hamburg“) treiben die Professoren die Entwicklung der additiven Fertigung in der Praxis voran und bilden den Nachwuchs aus. Im Interview sprechen sie über die Fortschritte, aber auch über die Grenzen der neuen Technologie.
Herr Prof. Telgkamp, Herr Prof. Sheikhi, die HAW Hamburg, an der Sie forschen und lehren, engagiert sich auch in der Steuerungsgruppe des Maritimen 3D-Netzwerks (MN3D). Mit welchen 3D-Themen beschäftigen Sie sich an Ihrer Hochschule besonders?
Sheikhi: Im Rahmen unserer Forschungsthemen behandeln wir Gebiete der Prozessqualifizierung, Verfahrensentwicklung, Postprocessing sowie die Einführung verschiedener Verfahren und natürlich werkstoffseitige Aspekte. Wir forschen sowohl an Metallen als auch an Polymeren. Mein Schwerpunkt liegt bei den Metallen. Aktuell decken wir Aluminium, Titan, Nickelbasiswerkstoffe und Eisenbasiswerkstoffe ab. Jens Telgkamp arbeitet an Polymerwerkstoffen. Mit metallgefüllten Polymeren bewegt er sich zudem an der Schnittstelle beider Werkstoffarten. Wir können mittlerweile werkstoffseitig nahtlos vom Polymer zum Metall übergehen.
Telgkamp: Wir decken aber nicht nur die Werkstoffseite ab, sondern die gesamte Wertschöpfungskette des 3D-Drucks. Der Prozess beginnt mit der Entwicklung einer Produktidee. Dann folgt das Design, also die Überlegung, wie ich das Produkt so gestalte, dass ich es additiv fertigen kann. Wichtig ist auch die Frage nach der Wirtschaftlichkeit, also ob und wie ich mit diesem Produkt Geld verdienen kann. In der Lehre biete ich deshalb eine Mastervorlesung an, die sich ausschließlich mit der Produktentwicklung für die Additive Fertigung beschäftigt.
Sheikhi: In meinem Masterstudiengang geht es vor allem um die Herstellung von Metallbauteilen. Hier an der HAW beschäftigen wir uns dafür mit vier verschiedenen Verfahren des metallischen 3D-Drucks. Wir gehören zu den wenigen Forschungseinrichtungen, die verschiedene Prozesse der additiven Fertigung (Pulverbettverfahren, laser-, plasma- und lichtbogenbasierte Verfahren, thermisches Spritzen) vor Ort haben. So haben unsere Studierenden, aber auch die Industrie die Möglichkeit, verschiedene Prozesse zu erfahren und zu erproben. Wir betreiben in unseren Laboren angewandte Forschung, das heißt, wir gehen der Frage nach, wie man diese Verfahren für die Industrie einfacher, schneller, kostengünstiger und anwendungsnäher machen können.
Telgkamp: Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit ist in der Tat sehr wichtig. Die Prozesskette, um beispielsweise ein Bauteil aus Titan additiv zu fertigen, umfasst bis zu 13 Prozessschritte, je nach dem Ausmaß der Sicherheitsanforderungen an das Bauteil. Der eigentliche 3D-Druck ist nur einer dieser 13 Schritte, und zwar der dritte. Der Laie denkt, nach dem Drucken ist das Teil fertig. In Wirklichkeit folgen noch viele weitere Arbeiten: Wir müssen Stützstrukturen entfernen, die Oberflächenstruktur und die innere Struktur inspizieren und verbessern, also beispielsweise Oberflächen chemisch glätten oder fräsen, und vieles mehr. Deshalb entwickeln wir an der HAW Verfahren, die mit weniger oder ohne Nachbearbeitung auskommen. Grundsätzlich ist es aber so, dass die Vielzahl der Prozessschritte den 3D-Druck schnell unwirtschaftlich machen kann. Das muss man unbedingt beachten und da ist noch viel Forschung und Entwicklung notwendig.
Welche Anwendungsmöglichkeiten sehen Sie in der maritimen Industrie?
Sheikhi: Im Schiffbau sehe ich großes Potenzial für die additive Fertigung als Weiterentwicklung des Auftragsschweißen. Prozesse wie LMD oder WAAM ermöglichen die ökonomische Realisierung von großvolumigen AM-Bauteilen. Wir sind aktuell in einem großen Projekt „LAYER“ mit Partnern aus der Industrie. Im Wesentlichen geht es darum, mit vergleichsweise günstigem Stahl hohe Qualität zu drucken. Da sind wir auf einem guten Weg. Demnächst startet ein weiteres Projekt, ebenfalls mit Partnern aus der Industrie: Wir wollen Nebenprodukte des Schleifens, wie Abrieb und Späne, als Ausgangswerkstoff für den 3D-Druck nutzen. Es geht also auch um Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung sowie insgesamt die Senkung des CO2-Fussabdruckes.
Telgkamp: Additiv gefertigte Kunststoffbauteile werden in Schiffen heute vor allem in Systeminstallationen und in der Verlegung von Kabeln eingesetzt. Das ist nicht trivial. Ein Vorteil gegenüber Metall ist, dass wir keine Korrosionsprobleme haben. Ein sehr spannendes Forschungsthema, das auch für die maritime Wirtschaft relevant ist, ist aktuell das Drucken mit Langfasern. Die Designfreiheit des 3D-Drucks mit diesem Werkstoff zu verbinden, ist sehr attraktiv. Allerdings muss das Drucken mit faserverstärkten Kunststoffen erst einmal beherrscht werden.
Ein weiteres HAW-Projekt beschäftigt sich mit der Mensch-Roboter-Interaktion in der Schweißtechnik. Worum geht es dabei?
Sheikhi: Wir haben in Europa einen Fachkräftemangel, und das Schweißen ist ein Knochenjob, vor allem auch auf Schiffen. Es ist oft eng, heiß und die Emissionen sind alles andere als gesund. Es ist oft schwer, Leute für diese Arbeit zu finden. In unserem Projekt überlassen wir die harte und ungesunde Arbeit dem Roboter. Der Mensch steuert ihn aus der Ferne mit Gesten. Dafür braucht er weder Programmiererfahrung noch eine Affinität zu Robotern. In diesem Projekt arbeiten wir mit einem Schweißgerätehersteller aus Norddeutschland zusammen. Insbesondere eignet sich die entwickelte Lösung, um die Wiedereingliederung von Mitarbeitern nach schweren Unfällen zu ermöglichen sowie insgesamt gesunder und ergonomischer zu arbeiten. Der Prototyp ist fertig.
Der maritimen Wirtschaft wird oft nachgesagt, sie sei zu zögerlich bei der Einführung neuer Technologien. Entspricht dies Ihren Beobachtungen?
Sheikhi: Das kann ich in diesem Bereich wirklich nicht feststellen. Wir arbeiten in unseren Projekten mit vielen maritimen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammen. Das Interesse ist groß. Aber manche Erwartungen können wir – noch – nicht erfüllen. Die Vorstellung, einen Drucker an Bord zu bringen und dann metallische Ersatzteile bei Bedarf selbst zu fertigen, ist derzeit nicht realistisch. Dafür sind die Oberflächen der gefertigten Teile in der Regel noch nicht gut genug. Wir drucken heute zwar endkonturnah, aber eine Nachbearbeitung ist fast immer notwendig. Man bräuchte also neben dem Drucker auch eine Werkstatt an Bord, um die Teile nachzubearbeiten. Da sehe ich eher Potenzial in den Häfen. Wenn man dort einen Standort für das DED-Verfahren (Direct Energy Deposition wie z.B.: laser- oder lichtbogenbasierte Verfahren) und eine Werkstatt für die Nachbearbeitung einrichtet, kann man sich mit dem 3D-Druck sicherlich neue Märkte erschließen und just in time mit geringen Lagerkosten liefern.
Telgkamp: Im Hype um den 3D-Druck gab und gibt es überzogene Erwartungen. Generell gilt, dass der 3D-Druck seine Wirtschaftlichkeit erhöhen muss, um sich durchzusetzen. Letztlich geben die Kosten den Ausschlag. Es muss sich lohnen, sonst macht es keiner. Da arbeiten wir dran, aber das geht nicht von heute auf morgen.
Shahram Sheikhi lehrt seit 2014 als Professor für Fügetechnik und Additive Fertigung an der HAW Hamburg. Zuvor arbeitete er unter anderem für die MAN Diesel & Turbo SE sowie diverse Forschungseinrichtungen. Jens Telgkamp lehrt ebenfalls als Professor für Additive Fertigung an der HAW. Zuvor arbeitet er bis 2019 für Airbus.
Foto: Links Jens Telgkamp und rechts Shahram Sheikhi im Labor an der HAW
Fotocredit: Till Behrend