Interview mit Ralf Anderhofstadt von Daimler Truck & Buses

Im Gespräch mit Daimler Truck & Buses: „3D-Druck besitzt auch für die maritime Branche disruptives Potenzial“

Der 3D-Druck besitzt auch für die Maritime Branche disruptives Potenzial. Davon ist Ralf Anderhofstadt von der Daimler Truck AG überzeugt. Wir sprachen mit dem 3D-Druck-Experten darüber, wie die additive Fertigung die maritime Industrie schon verändert und was getan werden muss, damit herkömmliche Geschäftsmodelle nicht toxisch werden.

 

Ralf Anderhofstadt von der Daimler Truck AG traut dem Additive Manufacturing auch in der maritimen Industrie künftig eine Schlüsselrolle zu. Im Interview berichtet er über konkrete Anwendungen, bestehende Kooperationen und die nächsten großen Entwicklungsschritte. Er ist überzeugt, wer das Thema nicht pushe, dessen Geschäftsmodell könnte schon bald „toxisch“ werden. 

Bei Daimler Truck & Buses denkt man nicht sofort an die maritime Branche. Welche Produkte und Services bieten Sie für diesen Sektor an? Wo kommen Ihre Produkte schon zum Einsatz?  

Tatsächlich lag unser Fokus in der additiven Fertigung zunächst „nur“ auf uns internen Belangen, sprich die Nutzfahrzeugbranche. Hierzu sind wir bereits 2016 gestartet, um diese spannende Technologie in all ihren Facetten in die Serienwelt zu überführen. Im Laufe dieser Zeit haben wir neben dem kompletten Aufbau von neuen Prozessen für den industriellen 3D-Druck eine Vielzahl von Produkten zertifiziert, welche in unseren Fahrzeugen mittlerweile als Serienteile integriert sind. Im Laufe dieser Zeit konnten wir aber schnell feststellen, dass sich bei einem ganzheitlichen Blick auf den industriellen 3D-Druck ganz neue Chancen bis hin zu neuen digitalen Geschäftsmodellen ergeben. Dies haben wir bei uns Stück für Stück umgesetzt, bis zum heutigen Tag. Insbesondere während der Pandemie kamen zahlreiche Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, auch aus der maritimen, auf uns zu, mit vielfältigen Fragen von „wie gelingt der optimale Start in den 3D-Druck für Serienteile?“ bis hin zum Aufbau des optimalen Digitalen Zwillings und dessen Integration in ein virtuelles Lager. In diesem Zuge haben wir aufgrund der großen Nachfrage unsere Consulting-Einheit „AMS – Additive Manufacturing Solutions – Daimler Truck“ gegründet, um gemeinsam mit Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen deren Herausforderungen anzugehen und das Thema Additive Manufacturing gemeinsam weiter zu pushen.  

Welche Vorteile bietet die additive Fertigung für den maritimen Einsatz?

Die additive Fertigung bietet insbesondere in der maritimen Branche eine Vielzahl von Chancen, da auch diese Branche von einer großen Varianz an Produkten und einem hohen Individualisierungsgrad lebt. Und dabei bewegen sich die Stückzahlen häufig in einem sehr interessanten und wirtschaftlichen Bereich für den 3D-Druck. Aus diesen Gründen passt dies sehr gut und wir konnten bereits einige Produkte und Projekte in der maritimen Branche umsetzen. Das Potenzial dort ist sehr groß, und zwar sowohl aus ökonomischer als auch ökologischer Sicht.   

Welche besonderen Herausforderungen, welche Potenziale aber auch Grenzen existieren im maritimen Umfeld im Vergleich zu Straßenfahrzeugen? 

Die Herausforderungen im maritimen Umfeld ähneln denen anderer Branchen, in welchen wir bereits unterwegs sind, unter anderem auch dem Nutzfahrzeugbereich. Nehmen wir zum Beispiel die Größe der Bauteile. Lange war dieses Kriterium ein Ausschlussmerkmal für den 3D-Druck, zumindest in der Serienanwendung. Mittlerweile haben wir Fertigungsverfahren auch für große Bauteile freigeprüft und zertifiziert. Ebenfalls kommt auch heute noch oft der Aspekt der Wertanmutung beziehungsweise der Optik. Bekommen wir im 3D-Druck die hohen Anforderungen an die Oberflächen umgesetzt? Aber auch diese Hürde konnten wir bereits an vielen Stellen nehmen, da wir bei uns und unseren Partnern auch aus anderen Branchen, wie z. B. dem Caravan-Bereich oder der Agrarbranche, viele Sichtteile umgesetzt haben und weiter umsetzen werden. Und sehr häufig sind diese Produkte in Bereichen verbaut, welche einer hohen Beanspruchung ausgesetzt sind.  

Wie stark wird der 3D-Druck die maritime Industrie verändern?  

Der industrielle 3D-Druck besitzt bei einer ganzheitlichen Betrachtung, auf die wir größten Wert legen, auch für die maritime Branche disruptives Potenzial. Ich spreche bewusst von Potenzial, weil die Medaille natürlich immer zwei Seiten hat. Eine Disruption bedeutet natürlich auch immer, dass die Geschäftsmodelle von Unternehmen, die davon betroffen sind und sich nicht neu erfinden, toxisch werden können. Ganz konkret: Auch in der maritimen Branche wird sich aus unserer Sicht die digitale Lagerhaltung etablieren und viele Produkte werden dort zukünftig „gespeichert“. Diese Daten beziehungsweise Drucklizenzen können innerhalb weniger Millisekunden genau an den Ort der Produktion oder des Services versandt und vor Ort beziehungsweise an der Werft oder auf dem Schiff gedruckt werden. Dies verändert bestehende, etablierte Prozesse ganz erheblich und bringt nicht nur in Bezug auf Nachhaltigkeit, sondern auch in puncto Kundenbegeisterung und Kostenpotenziale viele positive Aspekte mit sich.  

Ganz generell: Wie reif ist der 3D-Druck heute? Welche großen Entwicklungen erwarten Sie noch? 

Der industrielle 3D-Druck hat bereits heute eine hohe Reife erreicht. Wir haben zum Beispiel heute schon deutlich mehr als 60.000 additiv gefertigte Teile in unseren Fahrzeugen als Serienteile zertifiziert und verbaut. Trotz dieser großen Entwicklungssprünge ist der Markt immer noch sehr beweglich und es kommen weiterhin neue Verfahren, aber auch immer weitere neue spannende Werkstoffe auf den Markt. Deshalb ist es sehr wichtig, hierzu auch am Puls der Zeit zu bleiben.   

Was hat Sie bewogen, am MN3D-Netzwerk teilzunehmen. Konnten Sie bereits erste Erfahrungen sammeln? 

Wir freuen uns sehr, dass wir ein Teil des spannenden MN3D-Netzwerks sein dürfen, da hier sehr interessante Unternehmen und Partner an Bord sind. Für uns war und ist es sehr wichtig, unsere Expertise, insbesondere auch für das digitale 3D-Druck-Business, und die gesammelten Erfahrungen mit in das Netzwerk zu bringen, um das Thema Additive Manufacturing gemeinsam weiterzutreiben und die großen Chancen für die maritimen Unternehmen auch im Hinblick auf neue digitale Geschäftsmodelle aufzuzeigen.  

Haben Sie konkret mit anderen Netzwerkmitgliedern in Projekten zusammengearbeitet? 

Es gibt tatsächlich das eine oder andere Unternehmen, insbesondere unter den Maschinenherstellern, mit welchem wir schon in Projekten, zum Teil sehr intensiv, zusammengearbeitet haben. Aber auch mit dem einen oder anderen Mutterkonzern der Netzwerkpartner stehen wir in engem Austausch. Wir freuen uns aber mindestens genauso, mit vielen weiteren Mitgliedern noch enger in den Austausch zu gehen. Aus diesem Grund kommen Sie gerne auch direkt auf uns zu, wenn wir nicht schon im Kontakt stehen! 

 

Ralf Anderhofstadt ist Leiter des Center of Competence Additive Manufacturing und der Consulting-Einheit „Additive Manufacturing Solutions AMS – Daimler Truck“ sowie Projektleiter des crossfunktionalen 3D-Druck-Projekts innerhalb Daimler Truck AG. Außerdem ist er zweifacher Autor für das Fachbuch Disruptiver 3D-Druck bzw. Disruptive 3D-Printing.  

Parallel dazu ist Ralf Anderhofstadt im VDI Fachgremium „Rechtliche Rahmenbedingungen der Additiven Fertigung“ aktiv, arbeitet als Dozent mit dem Schwerpunkt 3D-Druck, ist als Trainer für zahlreiche Schulungen innerhalb des Geschäftsfelds der Additiven Fertigung tätig und zusätzlich Mitglied des Beirats des Verbands 3D-Druck e. V.  

Im August 2022 erschien sein erstes Buch „Disruptiver 3D-Druck“ im Hanser Verlag, in welchem die großen Potenziale und Chancen der additiven Fertigung auf die unterschiedlichen Branchen anhand von Praxisbeispielen dargestellt werden. In dem Buch geht er explizit auf die Veränderung von Wertschöpfungsketten sowie die Entstehung von neuen, disruptiven Geschäftsmodellen durch den 3D-Druck ein. Die englische Version „Disruptive 3D-Printing“ wurde ebenfalls im Hanser Verlag im Mai publiziert.  

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